Schweigend durchschreitet die Draenei das Eingangsportal von Eisenschmiede. Sie war schon oft in dieser Stadt gewesen. Dennoch spürte Sie weiterhin die misstrauischen Blicke der Wachen in Ihrem Rücken und den furchtsamen Blick in den Augen der Männer, Frauen und Kinder, die sich gerade auf dem Platz vor der Bank im geschäftigen Getümmel bewegten. Nun, einen Vorteil zumindest hatte dieses Misstrauen ihrer Person gegenüber; denn keiner dieser Bürger wagte es, in ihrem Weg stehen zu bleiben, wenn sie sich durch die Massen bewegte. Hatten denn diese Ignoranten immer noch nicht begriffen, was an der Kapelle des hoffnungsvollen Lichts geschehen war? Als Hochlord Darion sich nach Arthas’ Verrat von diesem lossagte und sich gegen ihn wendete?
Natürlich hatte die Draenei getötet; hatte beim Sturm auf Neu-Avalon, verderbt von Arthas’ Gedanken, ihre Klinge auch gegen Frauen und Kinder gerichtet. Aber zumindest hatte sie sich immer bemüht, ihren Gegnern einen schnellen Tod zu bereiten. Und das alles hatte in einem anderen Leben stattgefunden. In einem Leben, in dem sie nicht mehr Herrin über sich selbst war, sondern einzig und allein getrieben wurde durch Arthas’ verderbten Einfluss.
Sie war dabei gewesen an der Kapelle. Damals ... als sich alles änderte. Angetrieben von den Schlachtrüfen ihrer Brüder und Schwestern hatte sie an vorderster Front gekämpft. Hatte sogar Korfax, den sogenannten Helden des Lichts, herausgefordert. Die Draenei musste eingestehen, dass sie ihrem überlegenen Gegner niemals hätte standhalten können, wenn nicht der Hochlord selber ganz in ihrer Nähe gekämpft und ihr unglaubliche Kräfte verliehen hätte.
Doch alles Kämpfen war umsonst gewesen. All das Töten. All das Blut an ihrer Klinge. Alles hatte sich geändert, als Arthas an der Kapelle erschien und hochmütig von seinem Verrat berichtete. Der Moment, in dem Darion Mograine, Hochlord der Todesritter, gegen seinen ehemaligen Herren aufbegehrte, war der Moment, in dem die Menschlichkeit, zumindest teilweise, in die Draenei zurückkehrte.
Zusammen mit vielen anderen hatte sie sich damals von Arthas losgesagt und sich dem Hochlord angeschlossen. Sie hatte ihre Ausbildung in der Scherbenwelt fortgesetzt, um eines Tages zu den tapferen Streitern zu gehören, die Arthas für seinen Hochmut und seinen Verrat bestrafen werden.
Danach hatte sie endlich nach Nordend übergesetzt, um ihre Mission fortsetzen zu können. Dort hatte sie wieder gekämpft; viel gekämpft. Gegen Vrykul, Neruber, Magnatauren und viele mehr. Immer mit dem Ziel vor Augen, letztendlich gegen Arthas antreten zu können. Und fast immer auf sich allein gestellt, nur mit einem ihrer Ghuls an ihrer Seite. Selten hatte sie sich einer Gruppe angeschlossen, um gemeinsam das Böse in Nordend zu bekämpfen. Das Misstrauen gegenüber Fremden war zu groß; und allzu oft hatte sich herausgestellt, dass dieses Misstrauen auch begründet war. Die Aussicht auf Ruhm und Reichtum im Kampf gegen die von Arthas ausgehende Bedrohung hatte offensichtlich viele unfähige, arrogante und flegelhafte Zeitgenossen nach Nordend getrieben.
Vor ihrem „Leben“ in Arthas Reihen war das anders gewesen. Damals hatte sie viele treue Freunde gehabt und mit diesen unzählige Abenteuer gemeinsam bestritten. Freunde, die ihr nun fehlten.
Viele Kämpfe hatte die Draenei in Nordend bestritten. Fast alle siegreich, doch hin und wieder war sie dem „Tod“ nur knapp entkommen. Einige Gegner waren für sie alleine fast unbesiegbar gewesen; einer, Kreug hieß er, war fast so groß wie die Kathedrale von Sturmwind. Wobei, seinem Schlag nach zu urteilen war er vielleicht sogar größer als die Kathedrale. Die Aufgabe, ihn auf den Aasfeldern zu finden und für seine Untaten zu bestrafen, hatte sie inzwischen aufgegeben.
Nachdem sie festgestellt hatte, dass sie ihre Ziele alleine nicht würde erreichen können, hatte die Draenei sich auf die Suche nach ihren Freunden aus vergangenen Zeiten begeben.
Die meisten von diesen hatten sich inzwischen gegen ein Leben auf den Schlachtfeldern Azeroths entschieden oder waren unauffindbar verschollen. Oft war die Draenei enttäuscht worden.
Aber eine Hoffnung hatte sie noch. Damals, lange bevor sie in Arthas’ Diensten stand, hatte sie in der Exodar einen Schamanen gekannt. Ein guter und tapferer Freund war er gewesen. Sie hatte sich auf die Suche nach ihm begeben. Von Nordend war sie zur Exodar gereist; dann weiter durch Kalimdor und die östlichen Königreiche bis zur Scherbenwelt. Immer wieder hatte sie Hinweise auf seinen Verbleib entdeckt, die sie weitergetrieben hatten. Zum Schluss hatte ihre Suche sie nun nach Eisenschmiede geführt. Alles deutete darauf hin, dass sich der Schamane ebenfalls auf den Weg nach Nordend begeben hatte und sich hier, in der Hauptstadt der Zwerge, dafür ausrüsten wollte.
Eisenschmiede. Oft war sie schon hier gewesen. Trotzdem war sie immer wieder beeindruckt, wenn sie das Tor zur Stadt durchschritt. Die Zwerge hatten eine beeindruckende Stadt erschaffen, gemeißelt in den Fels der Berge von Dun Morogh. Nicht ganz so beeindruckend wie die Exodar vielleicht, aber dennoch fast ebenso erhaben und würdevoll.
Die Draenei wendet sich nach links und betritt die Steinfeuertaverne, in der sie schon so viele Krüge geleert hat. Wenn sie noch irgendwo so etwas wie ein heimisches Gefühl verspürte, dann wohl in diesem Raum. Als sie sieht, dass alle Tische besetzt sind, geht sie direkt auf den Schanktisch zu. Beim guten Feuerbräu bestellt sie wie schon so oft einen Metkrug, bevor sie über ihre nächsten Schritte nachdenkt.
Sie hatte die Spur ihres alten Freundes weiterverfolgt und als nächstes würde sie ihn in Nordend suchen. Zwei Möglichkeiten hatte sie: Von hier aus über den Hafen von Menethil nach Valgarde; oder aber zunächst nach Sturmwind und von dort aus zur Valianzfeste. Nun, vielleicht würde sie hier einen Händler finden, der ihr weiterhelfen und diese Entscheidung abnehmen könnte.
Die Draenei leert den Krug mit einem Zug, dreht sich um und schreitet Richtung Ausgang, um ihre Suche in den Geschäften rund um die Große Schmiede fortzusetzen. Gerade als sie den Gastraum verlassen will, fällt ihr Blick auf einen alten, abgerissenen und kaum noch lesbaren Zettel an der Wand der Taverne. Eine Gemeinschaft sucht noch Mitglieder, um in Medivhs Turm Karazhan nach dem Rechten zu sehen. Pakt der Macht … oder der Nacht; ein interessanter Name, und auch alles andere, was noch lesbar ist, liest sich die Draenei aufmerksam durch. Die Geheimnisse um Karazhan scheinen inzwischen gelüftet, aber vielleicht sucht die Gemeinschaft trotzdem noch weitere Mitglieder; wer weiss? In diesem Moment fasst die Draenei den Entschluss, diese Gemeinschaft anzusprechen, sobald sie ihren alten Freund gefunden hat. Vielleicht ist das endlich die Möglichkeit, Verbündete zu finden, um Arthas und seine Schergen zu bestrafen.
Die Draenei verlässt den Schankraum festen Schrittes, wendet sich nach Osten und schreitet das erste Mal seit langer Zeit mit guten Gefühlen einer ungewissen Zukunft entgegen.
…